Geist einer Rose

Vaclav Nijinsky gewidmet

Tanzend kam er herein,

woher, spielt keine Rolle –

als sei er vom Himmel gefallen, ein Lichtstrahl.

Den Boden beinahe vergessend,

jeder Schritt ein Sprung

auf die stumme Melodie einer schlichten Jugend.

Er lachte niemals.

Es machte ihm mehr

Mühe, zu scherzen als ernst zu sein.

Er sprach, was nötig war,

ohne auf etwas zu beharren,

mit einer Stimme wie der Gesang eines seltenen Vogels.

Ich bin der Geist einer Rose, der Schatten eines Sommers.

Wer um solches nicht weint, wird niemals weinen.

Ich lebe, wenn die Sonne aufgeht und wenn sie sinkt.

Ich bin der Geist eines Traumes für jene,

die ohne Träume sind.

Die Luft um ihn her

erzitterte:

Frühlingshauch, von einem Schmetterlingsflügel angefacht.

Ganz selbstvergessen

tanzte er

in einem unsichtbaren Königreich aus Bewegung.

Niemand erkannte, daß er sich Tag für Tag

ein wenig von uns Leichtsinnigen, Zufriedenen entfernte:

Sein schüchternes Lächeln ein verzweifelter Versuch,

nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren –

Wohin er ging, wissen wir nicht,

die Augen leer, die Züge bleich.

Doch das kümmert nicht; ich bin sicher, irgendwo

tanzt er noch immer.

Er war der Geist einer Rose, der Schatten eines Sommers.

Wer um solches nicht weint, wird niemals weinen.

Er lebte von Sonnenaufgang bis zum Abend.

Er war der Geist eines Traumes für jene,

die ohne Träume sind.

Ich war der Geist einer Rose, der Schatten eines Sommers.

Wer um solches nicht weint, wird niemals weinen.

Ich lebte von Sonnenaufgang bis zum Abend

als Geist eines Traumes für jene,

die ohne Träume sind.

Crystal 19.09.2003

„Spectre de la rose“ war der Name eines der Ballette, in denen der „Gott des Tanzes“ Vaclav Nijinsky Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris Triumphe feierte. Wenige Jahre später erkrankte er an Schizophrenie. Die letzten 30 Jahre seines Lebens verbrachte er als geistig umnachteter Pflegefall.

Französischer Originaltext

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