Jason war anders, wie jedermann wusste.
Er lebte in seinem eigenen, geheimen Land.
Im Alter von sechs Jahren versuchte er, durch den Spiegel fortzugehen -
alle fragten sich, wo das bloß enden sollte.
Jason liebte Fragen, aber gab nichts auf Antworten:
“Wer hat das Salz ins Meer gestreut?
Wieso erinnern wir uns nicht nach vorn, sondern nur rückwärts?
Wie wäre es wohl, nicht zu sein?
Und wohin verschwinden die Menschen im Spiegel
wenn wir den Blick abwenden?
Tanzen sie in Gängen aus Silber und Licht?
Schwinden sie dahin und verblassen ins Grau?”
Jason, der Träumer, wuchs zu gegebener Zeit heran,
fand Freunde, die ihn bisweilen verstanden,
einen Job, der seinen Eigenheiten nicht in die Quere kam
und sein Leben glitt unwiederbringlich vorbei.
Er sah noch immer das Wunder in Gewitterstürmen und Sternen,
stellte seine Fragen, auch wenn ihnen niemand Beachtung schenkte.
Er konnte Wochen darauf verwenden, einen Traum wieder wachzurufen,
und Jahre auf ein Buch, das niemand lesen würde.
“Warum ist die Unendlichkeit jenseits unseres Begreifens,
wenn die Endlichkeit manchmal so klein erscheint?
Woher wissen wir, dass wir wach sind und nicht träumen,
und gibt es überhaupt einen Unterschied?”
Und oft betrachtete er den Mann im Spiegel
der demjenigen in seiner Vorstellung so gar nicht glich,
und er suchte nach dem Jungen in den Linien eines Gesichts
das ihn zurückgelassen zu haben schien.
Jason, weißbärtig, wurde gebrechlich und schwach,
aber seine Ideen trieben immer neue Blüten.
“Warum, bitte, fließt die Zeit nur in eine Richtung,
und wer hat entschieden, in welche?”
Da seine Freunde mittlerweile über seine Schrullen den Kopf schüttelten und erklärten,
sie zögen es vor, in Würde zu altern,
und seine Nachbarn heimlich lachten, blieb er
mehr und mehr für sich in diesen letzten Tagen.
Manchmal sahen sie ihn noch, ein Lächeln auf seinem Gesicht,
wie er Blätter jagte im Auflodern des Herbstes,
aber er spürte, dass er nicht länger mit dem Wind Schritt halten konnte,
obgleich er ihn noch immer rufen hörte.
Er blieb in seinem Haus voller Spiegel und Träume
in einem Körper, den er nicht ausstehen konnte,
und das Gesicht hundert alter Männer starrte
das Kind an, das sich im Innern verbarg.
* * *
Jason, der Sonderling, verschwand schließlich,
letztmals gesehen am ersten Sonntag im Mai.
Manche sagen, dass er in einem Haus voll Reflektionen und Staub
einfach dahinschwand, um ins Grau zu verblassen.
Aber Jason ist endlich durch den Spiegel fortgegangen
und hat nach der anderen Seite gegriffen.
Dort tanzt er auf immer mit behutsamen, kleinen Schritten
in Gängen aus Silber und Licht.
Eva, Oktober 2001