Die Stadt

Des Mittags erreichte ich endlich die Stadt.
Hitze hing über dem Land,
lag flirrend auf Dächern und Straßen und Stein
und Tüchern, so hell wie der Sand.
In den Staub vieler Tage und Wege gehüllt,
zerschlissen und durstig und matt -
von der Leere betäubt hob ich langsam den Blick
und sah auf die Türme der Stadt.
Und ein Bild stieg aus seltsamer Tiefe empor,
zerflossen, kaum dass es entstand -
jene Türme wie schattige Finger im Licht,
als hätt' ich sie wiedererkannt.

Hinter das Silber des Spiegels zu sehen,
zurück auf ein früheres Blatt. . .
Uralte Spuren, die sachte verwehen,
verlorene Träume, vergessene Zeiten
die uns in den Schatten des Weges begleiten -
die Stadt.

Watend durch Farben, Gerüche und Stimmen,
inmitten der Menge allein,
war mirs, als warteten hinter den Schleiern
Gesichter, vertraut mir zu sein.
Verborgene Linien im sandigen Boden
verrieten den früheren Bau,
ich blickte durch Leben und Welten und Zeiten
und spürte die Mauern genau.
Die Brücken und Bögen, die Tempel und Türme,
so fremd mir und doch so vertraut,
wie in hunderten sternklaren Träumen durchschritten,
aus Nacht und Erinnrung erbaut.

Ich lief wie durch leere Kulissen,
Vertrautheit, wohin ich mich wand,
ziellos durch einsame Gassen,
zweifelnd an meinem Verstand.
Ein Platz in der Stille der Dämmrung,
an den kein Erinnern mich band,
ein Ölbaum inmitten der Mauern,
ein Messer in meiner Hand,
ich berührte die rissige Rinde,
ich schnitt meinen Namen hinein,
hielt inne im Werk meiner Hände,
und wusste - ich war nicht allein.
Schriften im Muster der Borke,
verwachsener, uralter Schrein,
hunderte Zeichen und Namen,
und alle - - - alle sind mein!

Ich floh wie im Fieber hinaus aus der Stadt,
doch die Bilder verfolgten mich weit,
ich spürte den Schatten der Türme im Rücken,
den Atem von Menschen und Zeit.
Vom Hügel aus blickte ich schweigend zurück -
so friedlich und still sah sie aus! -
sah Türme und Mauern im Abend versinken
und sehnte mich plötzlich nach Haus.
Ich wanderte seltsam bewegt in die Nacht,
durch Träume von Sonne und Stein.
Ich werde die Türme noch einmal erblicken,
doch wer werde ich dann sein?

Hinter das Silber des Spiegels zu sehen,
zurück auf ein früheres Blatt. . .
Uralte Spuren, die sachte verwehen,
verlorene Träume, vergessene Zeiten
die uns in den Schatten des Weges begleiten -
die Stadt.

Eva, 23. Mai 2001
Reiseberichte.

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