Sterne im Wasserglas

Sie tritt aus verschlungenen, hallenden Gängen
kühl wie die Nacht in den schweigenden Raum.
Er folgt ihr, berauscht, voller Leben und Drängen.
Sie sehen sich an. Sie atmen kaum.
Von draußen fällt Dunkel durchs Fenster ins Zimmer,
durchströmt sie, macht seltsam verloren und leer.
Sein Gesicht scheint vertraut – sie kannten sich immer,
doch sie weiß nicht - - - weiß nicht woher.

In der Stille keimt Furcht. Sie sieht suchend im Kreis.
Sie ist fremd hier. Sie friert. Was verbirgt dieser Ort?
Ferne raunt es: „Du hast uns vergessen.“ Sie weiß,
jemand wartet nur einen Gedanken weit fort.
Er sieht ihre huschenden Blicke zum Fenster,
die ahnenden Zweifel in ihrem Gesicht,
und er schmeichelt, er lockt: „Es sind Lügen, Gespenster,
bitte glaub - - - glaub ihnen nicht.

Heute Nacht warn wir Wandrer im Mosaik,
heute Nacht fielen Funken aus ferner Musik,
und zwei, drei Momente vielleicht warst du frei, warst du federleicht,
sag, du erinnerst dich doch?
Wir tanzten in Pfützen, im Wind, Hand in Hand,
durch das Licht, wie Libellen am Sommerrand,
diese Nacht, klar wie blauer Topas, trieben Sterne im Wasserglas,
bitte – du weißt es doch noch?“

Doch sie hört nicht. Sie sinnt. Er steht angstvoll daneben,
sieht zu, wie sie blind nach Erinnrungen greift,
und sie ahnt, wie im Nebel, ein anderes Leben,
den Atem der Zeit, der sie rastlos umstreift.
Er fällt auf die Knie: „Wieso willst du verstehen?
Du warst glücklich heut Nacht, hier in Schatten und Rauch!
Ohne dich muss die Welt, die wir kennen, vergehen,
und ich - - - ich muss es auch.“

Sie wendet sich ab. Was ist Mitleid, was Treue?
Irgendwo scheint ihr Sonne rotwarm ins Gesicht.
Sie treibt aufwärts und fühlt weder Trauer noch Reue,
als der Spiegel in Tausende Scherben zerbricht.
Sie sieht durch den Boden, die Wände, den Raum,
spricht fünf leise Worte: „Es ist nur ein Traum ...“

Er ruft ihren Namen, er will nach ihr fassen,
als wortlos die wachende Welt sie umschließt.
Er sieht alles, was war, ins Vergessen verblassen
und spürt, wie er sachte ins Frühlicht zerfließt.
Er denkt an den blauen Topas,
an die Sterne im Wasserglas. . .

Libellen im Licht. Er beschließt zu vergeben,
als Morgenwind Bilder wie Staub mit sich treibt.
Es war wert, eine traumlichte Nacht lang zu leben,
auch wenn nichts - - - nichts davon bleibt.

Eva 2006

(Musik: Crystal 2006)