Gilgamesch

1.) Komm und triff mich in Palmenhainen und Lachen,
komm und finde mich in Zeder und Stein,
bewundere meine Tempel und Türme,
tanze leichtfüßig auf Lapis und Blüten
im Schatten meines Thrones.

Komm, triff mein Gegenstück, meinen Gefährten
und Freund nach dem Plan des Himmelsgottes,
doch ich dulde weder Herausforderer noch Konkurrenten,
ich wetteifere mit den Göttern in ihrem Glanz
und ich nehme, was mein ist.

Siehe, ich bin größer als das Mitleid,
siehe, ich bin das Fundament der Mauer,
denn ich bin der König dieser Stadt
und Uruk steht voll Stolz.

2.) Komm und triff mich in Fragen und Zwielicht,
komm und ruhe aus an den weiten Ufern des Euphrat,
tauche ein in warme, duftende Wiesen
und lausche dem Lied in den Schatten,
süß wie nie zuvor.

Weit entfernt, an der Quelle aller Flüsse,
wo selbst die Zeitlosen alt sind,
wanderte ich, wohin der Menschen Hoffnung nicht folgen kann,
um zu erfahren, dass unsere Bemühungen leer sind
und Gebete nichts gelten.

Die Stadt um mich her trauert,
ein Lebewohl in jeder Halle,
doch ihre Schönheit strahlt hell im Abend,
denn Uruk steht voll Stolz.

3.) Komm und triff mich in Scherben und Blicken,
komm und verweile in den Häusern aus Staub,
wo die Götter, verborgen zwischen Raunen und Innehalten,
Ursachen und Gründe stillen
und endlich gerecht sind.

Komm, geh ein Stück mit mir, triff meinen Gefährten,
er könnte eben gerade vorübergegangen sein,
wir treiben durch unsere gefiederten Abgeschiedenheiten,
alle gleich, fern von Leben und Illusionen,
woher also sollten wir es wissen?

Ich war Sha Nagba Imuru,
ich war der, der alles sieht,
ich breite meine letzte Frage vor Dir aus:
Steht Uruk noch voll Stolz?

Eva, April 2007
Für Rafael – zum ersten Hochzeitstag