Kinder des Dunkels

1.) Kreuz und Krähe, ein Pferd im Schnee,

ein zu bereitwillig gegebenes Versprechen,

zwei vertrauensvolle, blaue Augen, tief wie der Mittwinterhimmel -

Herr, ich liebte sie, und dennoch gehorchte ich.

Nun haben mein Zögling und ich ein Zuhause auf Zeit gefunden

in der Stille dieser rebenüberwucherten Mauern,

die Obsthaine schimmern weiß im Abendlicht

und Frühlingssonne vergoldet Kirche und Säle.

Die Schwestern schweigen und bleiben für sich,

wie sie unter Säulen und Bäumen dahintreiben,

sie lächeln zart wenn sie im Wandelgang vorübergehen

und verschwinden in die Dämmerung wie ein Lufthauch.

Ich bade sie. Ich füttere sie. Ich versuche, sie nicht zu beachten,

aber ihr Haar, oh, ihr Haar riecht so gut!

Maria wiegt ihr Kind während zwei Leben zerbrechen

im Konvent St. Klara-im-Wald.

Nai nai nai nai nai nai nai

sehnsüchtig greift sie nach meiner Hand,

nai nai nai nai nai nai nai nai

Sprache, die alle Liebe versteht.

Es gibt Momente des Lichts, kleine Sterne in der Nacht

da es mir nicht gelingt, mich gleichgültig und hart zu geben,

jeder heimliche, flüchtige Kuss ist ein Fünkchen Seligkeit

aber ich weiß, dass es nicht annähernd genug ist.

Abseits, in ihrer Wiege, weint sie unablässig,

guter Gott, sie nur zu trösten und zu singen!

Ich fliehe aus unserem Zimmer zu den blühenden Obsthainen

und schütte dem Frühling mein Herz aus.

In meinen Tagträumen lacht sie, als ich ihr die Gärten zeige,

in meinen Gebeten nenne ich sie 'Sophie',

in meiner Vorstellung wächst sie fröhlich und strahlend heran

aber mein Herz weiß, dass es nicht sein wird.

Mögen ihre Träume sie sanft vereinnahmen und ihre Seele wiegen

und sie liebkosen, wie ich es nie konnte!

Aber sie versinkt im Schlaf wie einer bodenlosen Tiefe

in den Nächten von St. Klara-im-Wald.

Nai nai nai nai nai nai nai

Ich berühre sie mit Fingern aus Stein.

Nai nai nai nai nai nai nai

so allein - so völlig allein. . .

Die Frühlingsvögel schweigen. Die Sonne ist weitergezogen.

Weiche, weiße Blütenblätter tanzen nun in den Gängen.

Sie schläft mehr und mehr. Sie sucht die Pforte,

verirrt in einem Labyrinth aus kühlen Wänden.

Die Schwestern seufzen. Sie weint nicht länger,

sie ist bleich und schwindet mit dem Mond.

In der Schwärze der Nacht schlüpfe ich an ihre Seite

und flüstere: Bald nun, bald nun, bald nun, bald. . .“

Wir straucheln und beten während sich die Welt abnutzt

und Gott beobachtet uns, schweigend und streng,

sieht die grausamen Spiele des Königs, die Mägde zu Monstern machen

und die Kinder der Dunkelheit.

Milde Lüfte umspielen nun die einsamen Bögen

wo Abtei und Kreuzgang einst standen.

Die Obsthaine verwildern, doch noch immer erinnern sie sich des Kindes

das verloren ward in St. Klara-im-Wald.